Ein Schreiben zwischen zwei Stühlen
Content-Marketing ist ein schwieriges Geschäft. Es ist ein Schreiben zwischen zwei Stühlen. Einerseits soll der Leser sich an bedeutsamen Inhalten erfreuen, andererseits muss das Momentum gewahrt bleiben, etwas zu vermarkten. So setzt Content-Marketing die Klammer um zwei Begriffe, die unterschiedlichen Zielen und Schreibtaktiken folgen, zusammengepackt in einer sich widersprechenden Begriffskombination.
Content-Marketing ist ein Genre, das der Kategorie „divers“ angehört
Bei einer Erzählung, Satire, einem Roman oder Drama ist die Form verbindlich definiert. Für Content-Marketing fehlen formale Vorgaben. Der Fokus liegt auf der Wirkung – Empfänger zu einer Interaktion bewegen und messbare Ziele erreichen. Content-Marketing hat sich zu einer Informationsindustrie entwickelt, die ein ganzes Arsenal an didaktischen „Dos and Don’ts“ in Richtung Zielgruppe abfeuert. „Relevante“ Inhalte sollen aus Rezipienten Leads machen. So betrügt sich Content-Marketing nur allzu oft um die Wirkung, die es mit großartigen Storys erzielen könnte: Begeisterung und ein nachhaltiges Markenerlebnis. Ich denke hierbei an erstklassiges Erzählkino in 30 Sekunden, wie die Trivago-Spots aus dem Jahr 2015. Unter dem Kampagnenclaim „Wir wissen alles über Hotels“ wurden Storys im Stil eines Liebes-, Gangster- und Gruselfilms erzählt, mit stimmiger Dramaturgie, ungewöhnlichen Plots und einem hervorragenden Sprecher. Heute präsentiert sich die Marke im völligen Gegensatz dazu, reduziert auf die Marketingtechnik des Verkaufens. Ideen, die die Regeln brechen, ist der Anspruch des Cannes Festivals. Solche täten dem stark in die pädagogische Laufspur abgedrifteten Content-Marketing gut.
Geschichten und Formate, die Marken zum Leben erwecken
Die Masse an durchaus lehrreichen und sinnvollen Content-Marketing Beiträgen leidet in der Breite unter dem Mangel an emotional Branding. Warum nicht die Empfänger statt mit austauschbaren Marketingbotschaften, die im Strudel der Informationsflut untergeben, mit Geschichten verwöhnen, die Marken zum Leben erwecken. Über Jahre begeisterte der Gourmetkolumnist Wolfram Siebeck in der ZEIT und in seinem Blog die Leser mit Stories, nach denen man sich im wahrsten Sinne des Wortes die Finger leckte. Das waren keine Rezepte, das war Erzählkunst. Oder denken wir an Blattmacher, Chefredakteure und Journalisten, die den Printmarkt mit exzellenten Formaten bereichert haben. Um einige zu nennen: Peter Boenisch, einst Chefredakteur der Bild und Erfinder des plakativen Schlagzeilenstils. Oder der Focus Heftmacher Helmut Markwort. Die Seite drei der Süddeutschen, eine journalistische Marke für sich. Oder 11 Freunde oder die Top-Ten der besten deutschen Blogs. Bei der Auszeichnung der „kreativsten Blattmacher des Jahres 2018“ urteilte die Jury zur Chefredakteurin der Brigitte-Familie sowie der Promi-Titel Barbara und Guido, „sie leite so etwas wie die letzte große General-Interest-Zeitschrift für Frauen, treffe auch bei ihren anderen Titeln immer genau den richtigen Ton: Frisch, zupackend, euphorisch."
Inhalte produzieren oder geile Geschichten schreiben
In der Welt des Content-Marketings geht die Macht vom Rezipienten aus. Welche Inhalte „relevant“ sind, zeigen Interaktionen, Reichweite und Google Analytics. Ob man gelesen oder wahrgenommen wird, hängt von verschiedenen Faktoren ab. „Treffe ich die Wünsche und Erwartungen der Zielgruppe, ist meine Story einzigartig und authentisch, bin ich im richtigen Kanal unterwegs, stimmen Idee, Konzept und Qualität der Story? Entscheiden in Redaktionen andere mit, ob ein Inhalt reif für die Publikation ist, folgt die Qualitätskontrolle in sozialen Medien anderen Kriterien. „Wenn du gelesen werden willst, musst du dich plagen,“ sagte der Stilpapst Wolf Schneider in einem Interview mit dem Spiegel. Inhalte und Posts sind schnell produziert. Man tut etwas fürs Marketing, aber auch für die Faszination? Google Tag Manager, Reichweitenmessung, Followerzahlen sagen einiges über die Begeisterung aus, aber nicht alles.
Wie eine Story aufgebaut sein sollte, um gelesen zu werden
Man kann sich am Schema des klassischen Dramas orientieren. Einleitung, Steigerung, Höhepunkt, Verzögerung, Lösung. Das sind brauchbare Anhaltspunkte für das Konzept einer Story oder den logischen Aufbau eines Blogs. Auf der Telekolleg Seite des BR findet sich eine sehr schöne Zusammenfassung der Dramentheorie.
Die Einleitung ist der Hook, der den Rezipienten packen soll. Absprungraten und Lesedauer zeigen, Rezipienten sind nicht mehr sehr geduldig. Der Einstieg muss sie packen, sollen sie der Story weiter folgen.
Die Steigerung baut den Spannungsbogen auf und führt den Leser zum Höhepunkt der Story. Hier entscheidet sich, wie die Geschichte weitergeht. Naht die Auflösung oder verzögert sie sich und es kommt es zu einer überraschenden Wendung? Der Cliffhanger ist ein beliebtes filmisches Stilmittel, die Auflösung zu verzögern und die Spannung hoch zu halten.
Die Lösung „erlöst“ auch den Rezipienten, der gespannt auf den Ausgang der Story wartet. Aristoteles sah im Drama die Aufgabe, den Zuschauer einem reinigenden Wechselbad der Gefühle zu unterziehen. Der Chor gab nioch ein paar kluge Ratschläge mit auf den Weg. Das Drama als Erbauung und Läuterung.
Ob 25-Sekünder, Long Copy, Blog oder Kurztext – der Aufbau des Dramas leistet gute Dienste beim Verfassen von Texten. Ein sehenswertes Anschauungsbeispiel ist Woody Allens Film „Geliebte Aphrodite“, in dem der Strukturaufbau des aristotelischen Dramas grandios umgesetzt ist.
Faszinationsmarketing zieht Leser an
Das Schreiben für Leser ist etwas anderes als das Schreiben für Leads. Content-Marketing büßt an dem Punkt „Leser“ ein, wo das funktionelle Interesse überwiegt, etwas zu vermarkten. Schreiben unter der Obhut des Marketings kann aus einem guten Stoff eine schlechte Story machen. Und dennoch in der Leadgenerierung erfolgreich sein. Unter den Formaten im Content-Marketing zählen Videos, Podcasts und Infografiken aktuell zu den beliebtesten. Die Prinzipien des Longtail gelten auch fürs Faszinationsmarketing. Mit spannenden, überraschenden Brand Storys individuelle Rezeptionsinteressen ansprechen und für die Marke begeistern. Auch wenn Content-Marketing aus Sicht der Stakeholder informierend und unterhaltend sein soll und weniger Vermarktungsabsichten verfolgt, soll es dennoch profitable Handlungsaktionen durch den Nutzer bewirken. Machen wir uns die Mühe für gute Geschichten, denn sie begeistern, fesseln und reißen mit. Sie hauchen nackten Zahlen Leben ein. Die emotionalisierende Wirkung von Geschichten verankert die Marke im Bewusstsein des Kunden. Was fasziniert, nimmt Einfluss auf unser Verhalten und unsere Entscheidungen. Dafür lohnt sich die Mühe, gute Storys zu entwickeln und zu erzählen.
Nota bene
Ich bin ein Geschichtenschreiber und Themensammler. Von Corporate Brand Storys über Onlinemagazine und Blogposts bis zu hochwertigen PR-Texten übernehme ich die Entwicklungs- und Kreativaufgaben in der Corporate Communication. Die langjährige Erfahrung mit Projekten und Etats von KMUs und Konzerne gibt mir die Sicherheit, erstklassige Kommunikationslösungen zu entwickeln
Titelbild: iStockphoto
Quelle:
wuv online, Die kreativsten Blattmacher des Jahres, 11.12.2018
BR Telekolleg, Was ist eigentlich ein Drama
Spiegel online, Sprachpapst Wolf Schneider, Germanistik zu studieren, halte ich für töricht, 21.05.2010
gründerszene, lexikon, longtail
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